Management 2.0

denn: Klassische Strukturen nach Funktionen reichen nicht mehr aus

Überblick

Der Begriff Management 2.0 wurde im Frühjahr 2009 durch eine Veröffentlichung von Friedag/Schmidt erstmals in Deutschland genutzt. Zeitgleich gab es in den USA eine Initiative verschiedener Wirtschaftsprofessoren um Gary Hamel, mit gleichem Namen und ähnlichen Inhalten. Danach soll das Management ein Unternehmen im Sinne aller Stakeholder, also aller Interessensberechtigten ausrichten. Ihr Ziel ist die nachhaltige, langfristige Unternehmenssicherung ohne Dominanz der Ziele einer einzigen Anspruchsgruppe.

Unternehmen sollten über „klassische“ funktionsübergreifende Zusammenarbeit hinauszugehen und dazu

  • – alternative Organisationsmodelle umsetzen,
  • – Rollen stärken, die die Zusammenarbeit fördern, und
  • – ihre Mitarbeiter entsprechend schulen.

Nur so werden sie sich im zunehmenden Wettbewerb behaupten können. Das sind die zentralen Ergebnisse einer 2010 von der Unternehmensberatung Roland Berger durchgeführten Studie. Untersucht wurde im Rahmen dieser Studie, wie Unternehmen „klassische“ funktionsübergreifende Zusammenarbeit hinter sich lassen können.

(C) Konzept und Bild / Cathrin Bach

Gemischte Projektteams sind keine optimale Lösung.

Viele Unternehmen verlassen sich nach wie vor auf „klassische“, auf  funktionsübergreifende Zusammenarbeit, etwa gemeinsame Beschaffungsteams aus den Bereichen Einkauf, Entwicklung und Produktion. Diese „klassische“ funktionsübergreifende Zusammenarbeit ist allerdings immer häufiger immer weniger erfolgreich. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass dies vor allem auf
– unzureichende Anreize,
– die Angst der Verantwortlichen vor Einflussverlust sowie
– unzureichende interne Ressourcen
zurückzuführen ist.

Führung durch Motivation ersetzt hierarchische Strukturen
Unternehmen müssen deshalb ihre Managementsysteme an die neuen Anforderungen anpassen. Folgende drei Elemente sind der Schlüssel zu einer erfolgreichen funktionsübergreifenden Zusammenarbeit:

  1. 1. Alternative Organisationsmodelle:
    An Bedeutung gewinnen werden vor allem Strukturen, die auf Netzwerken beruhen. Derzeit betreiben viele Unternehmen funktionsübergreifende Zusammenarbeit basierend auf Projektstrukturen. Dabei kombinieren sie ihre Linienorganisation mit einem institutionalisiertem Projektmanagement. Auf Netzwerken basierende Strukturen über Funktionen, Länder und Hierarchien hinweg eignen sich allerdings besser für eine erfolgreiche funktionsübergreifende Zusammenarbeit.
  2. 2. Die „Kümmerer“ fördern
    Unternehmen müssen jene Rollen stärken, die eine Zusammenarbeit fördern, allen voran diejenigen Mitarbeiter, die auf operativer Ebene ein Projekt, einen Prozess oder eine Aufgabe vorantreiben und zwischen verschiedenen Stakeholdern moderieren. Erfolgreiche Unternehmen stärken die Karrierechancen der verantwortlichen Mitarbeiter aktiv.
  3. 3. Motivation statt Befehlsgebung
    Unternehmen müssen die Kompetenzen ihrer Mitarbeiter verbessern, um sie auf ein weniger hierarchisches und strukturiertes Umfeld vorzubereiten. Mitarbeiter müssen zunehmend in der Lage sein, das große Ganze zu sehen und gleichzeitig die Fähigkeit entwickeln, andere zu überzeugen, anstatt Befehle zu erteilen.

Systematisches Change Management ist gefragt
Eine derartige Umgestaltung der internen funktionsübergreifenden Zusammenarbeit erfordert grundlegende Strukturveränderungen in den Unternehmen. Damit diese Veränderungen erfolgreich sind, müssen sie im Rahmen eines Change-Management-Projekts systematisch etabliert werden.

Management 2.0 ist ein Schlagwort, das für eine auf Kooperation basierende Form des Managements steht und auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung zielt.

Die Umsetzung dieser auf Kooperation basierenden Strategie beruht auf sieben Säulen:

Management 2.0

Abbildung: Management 2.0

Hierbei werden ausgewogen die Interessen von Kunden, Mitarbeitern, Kapitalgebern, Prozesspartnern (Lieferanten)sowie der Gesellschaft berücksichtigt.

Im Kern geht es bei jeder Strategie für ein Unternehmen darum, eine einzigartige Position auf seinem Markt zu erlangen. Deshalb haben Modelle nur einen begrenzten Wert – sie können behilflich sein, um das strategische Handwerk zu erlernen; eine „Blaupause“ für einzigartiges Handeln bieten sie nicht. Je mehr Unternehmen dasselbe Modell verwirklichen, umso geringer wird die Chance, eine einzigartige Position zu erlangen. Strategie ist eine Kunst,
• die Gegenwart aus der Zukunft zu entwickeln;
• in Konstellationen zu denken, nicht in linearen Ursache-Wirkungs-Ketten;
• erfolgversprechende von weniger vorteilhaften Konstellationen unterscheiden zu können;
• die Menschen zu befähigen, erfolgversprechende Konstellationen aktiv herbei zu führen und konsequent zu nutzen.

Zu dieser Kunst gehört die Fähigkeit, den für das Unternehmen entscheidenden Wettbewerbsfaktor zu identifizieren, um die Konstellationen, die Interessen und den ausgewogenen Nutzen der beteiligten Stakeholder darauf auszurichten. Mit dem Übergang zum 21. Jahrhundert ist Management 2.0 – die Fähigkeit der Unternehmen zur Kooperation – zu diesem entscheidenden Wettbewerbsfaktor herangewachsen.

Wer Management 2.0 realisieren will, muss einen langen Atem haben und bereit sein, das gesamte bisherige Management auf den Prüfstand zu stellen und schrittweise zu verändern: Der Aufbau einer zielgerichteten Kooperation im Unternehmen kann in diesen sieben Schritten erfolgen; diese müssen nicht in der dargestellten Reihenfolge bearbeitet werden. Besonders die Schritte III (Werte) und V (Unternehmenskultur) benötigen erheblichen zeitlichen Aufwand, aber mit Geduld kann viel erreicht werden.

Kern der Management-Strategie 2.0 ist die Erkenntnis, dass eine aktive und nachhaltige Zukunftsgestaltung nur mit Kooperation geht.

Die Schritte im Einzelnen:

1. Erarbeitung eines gemeinsamen Bildes der Zukunft, verbunden mit einem scharf konturierten Geschäftsmodell, das nachhaltige Einzigartigkeit begründet.

„Gemeinsam“ zielt auf die Einbeziehung aller für ein Unternehmen relevanter Stakeholder. Dies sind (fast) immer Kunden, Mitarbeiter und Kapitalgeber, häufig auch Lieferanten, Gemeinde/Land etc. Hierbei spielt die Corporate (Social) Responsibilty eine große Rolle. Mit den Stakeholdern ist in einem Prozess (z.B. Balanced Scorecard, nicht als Kennzahlensystem verstanden!) die Unternehmens-Strategie zu erarbeiten. Damit einhergehend wird eine viel bessere Beobachtung, Erkennung und Beeinflussung ihrer Märkte, ihrer Kunden, ihrer Wettbewerber und Lieferanten des Unternehmens benötigt.

2. Aufbau einer Organisation der Leistungserstellung, die auf einem konsequenten Liefer-Ketten-Management und einer auf die Innovations-Potenziale orientierten Unternehmensführung aufbaut.

Die Schaffung eines internen Marktes für die Organisation der Leistungserstellung, verbunden mit einer neuen Gestaltung der Kostenrechnung, der Einführung verhandelter interner Verrechnungspreise. Hierzu gehörte auch eine systematische Arbeit mit Zielkosten, Zielmengen und Ziel-Portfolien sowohl auf dem Absatzmarkt als auch im Einkauf, bei der Kapitalbeschaffung wie auf dem Arbeits- und Bildungsmarkt. Selbständigkeit aller Leistungseinheiten im Unternehmen als Teil des gesamten Wertschöpfungsprozesses und klare Ausrichtung auf Schaffung von Innovationspotenzialen sollten das Ziel einer Neuorganisation eines Unternehmens sein. Die Kundenorientierung sollte auf den Kundennutzen ausgerichtet sein.

3. Gegenseitige Wertschätzung, die sich sowohl im Umgang mit den betriebswirtschaftlichen Instrumenten als auch der Achtsamkeit für Chancen, Risiken, Plausibilitäten und Konsequenzen niederschlägt.

Besinnung auf gegenseitige Wertschätzung als Kern kooperativer Wertschöpfung. Wertschätzung hat gravierende Folgen für die Gestaltung und Handhabung der Preisbildung im Rahmen eines durchgängigen Liefer-Ketten-Managements. Wertschätzung zeigt sich aber auch in der Entgelt- und Mitarbeiter-Politik, die sich zunehmend an der Entwicklung, Nutzung und Messung der Human-Potenziale orientiert. Und Wertschätzung gilt ebenso bei der Unterstützung von Entscheidungsprozessen durch stimmige Kennzahlen sowie durch Achtsamkeit für mögliche Chancen. Achtsamkeit hat viele Facetten – hier ist insbesondere Achtsamkeit als Ausdruck der gegenseitigen Wertschätzung gemeint. Grundlage ist eine gemeinsame Wertestruktur, die in mehrjähriger Arbeit miteinander entwickelt werden kann. Ergebnis ist eine vertrauensbasierte Kultur, die viele Kosten für Kontrollmechanismen sparen kann.

4. Kooperative Strukturen, die eigenständige Unternehmens-Einheiten verbinden mit stringenter Koordination des gemeinsamen Handelns.

Neue Strukturen, die Clusterung eigenständiger Einheiten um den internen Markt, geben der gegenseitigen Wertschätzung Raum. Die Koordinierung der Zusammen-arbeit bspw. durch einen Lenkungsausschuss, eine Gruppe für Preis-Strategie & Liefer-Ketten, ein Innovations-Team und eine Fertigungsgruppe sowie durch Kompetenz-Zentren für Management- und Unterstützungs-Leistungen sorgen für klare Linien zur Steuerung der Informations-Ströme. Eigenständige Unternehmenseinheiten ermöglichen schnelles Reagieren und benötigen keine großen Kontrollinstrumentarien. Aber sie müssen auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet werden, man braucht also einen Koordinationsausschuss. Die primäre Führungsaufgabe liegt in der Moderation und Koordination der einzelnen Unternehmens-Einheiten.

5. Eine Führung auf Basis gemeinsamer Regeln und adressierter Verantwortung.

Die Weiterentwicklung der Führungs-Kultur führt zu mehr Orientierung auf einen ‚ausbalancierten‘ Bereich der Akzeptanz für alle relevanten Interessengruppen. Durch eine konsequente Arbeit mit Regeln und adressierten Verantwortungsbereichen wird eine Erhöhung des Anteils wirtschaftlich wirksamer Zeit erreicht. Eine Konfliktkultur im Rahmen eines offenen, kooperativen Wettbewerbs zielt auf geduldige, die individuelle Motivlage der Mitarbeiter beachtende Innovationen. Zu einer kooperationsorientierten Führungskultur gehört auch ein entsprechender Wettbewerb der einzelnen Unternehmensbereiche. Fehler werden als Lern- und Verbesserungspotenzial gesehen und unternehmensweit als solche kommuniziert. Wenige Kennzahlen werden zur Information der Entscheidungsträger genutzt.

6. Eindeutige Verantwortung mit individueller Resultats-Orientierung, auf der sich gegenseitige Verlässlichkeit begründet.

Ein transparentes System eindeutiger Verantwortung („EV’en“) beruht auf einer zielbezogenen Verknüpfung der bestehenden Stellenbeschreibungen mit einer individuellen Resultats-Orientierung. Damit wird Klarheit geschaffen, worin die Basis gegenseitiger Verlässlichkeit besteht. Jeder Mitarbeiter hat das aus seiner Sicht wesentliche Resultat als Gegenstand der persönlichen Zielvereinbarung festgeschrieben. Damit kann man einem Ziel einer vertrauensbasierten Führung einen spürbaren Schritt näher kommen. Verlässlichkeit ist der Kern von Vertrauen. Jeder Mitarbeiter im Unternehmen sollte wissen, für welche Resultate er verantwortlich ist. Und hierauf sollte sich jeder verlassen können. Zu gewünschten Resultaten gehören auch Innovationen; für deren Entwicklung ist allen Mitarbeitern genügend Zeit zu geben.

7. Eine Kommunikation, die sich von bloßer Verlautbarung zu zielgerichteter Interaktion entwickelt, damit das gemeinsame Bild immer lebendig bleibt – d.h. sich weiterentwickeln kann.

Von einer Praxis der Verlautbarungen sollte man zu einer Politik der Interaktion gelangen. Dabei geht es zum einen um die Konzentration des Berichtswesens auf die Eindeutigen Verantwortlichkeiten (EV) des jeweiligen Empfängers, verbunden mit einer Dialog-geführten Intranet-Plattform, die allen Führungskräften offen steht. Und zum anderen geht es um einen Übergang von der eher kurzfristig angelegten Wertsteuerung zu einer nachhaltigen Unternehmensteuerung mit Potenzialen. Kommunikation bedarf der Wechselwirkung zwischen Sender und Empfänger. Es kommt daher immer darauf an, was auf der Empfängerseite verstanden wird und welche Rückmeldungen der Sender wahrnimmt; insofern steht dieser Teil des Management 2.0 am Schluss der Aufgabenliste; Wir müssen die Sprache des Empfängers sprechen und seine Reaktionen verstehen; in diesem Sinne sollten alle Führungskrafte regelmäßig Kontakt zu allen Mitarbeitern des eigenen Bereiches suchen. Die Informationspolitik muss auf Offenheit basieren, jeder kann und darf hierzu beitragen.

Ergebnisse von Management 2.0

Wie weit die Fähigkeit zu Kooperation entwickelt ist, lässt sich am Grad der Transparenz und der Offenheit ermessen, zu dem das Unternehmen nach innen und außen bereit ist. Kooperation ohne Transparenz und Offenheit ist nicht möglich; die Begrenzungen dieser beiden Indikatoren verweisen daher auf die Grenzen der Kooperation. Das beginnt bei der Offenlegung der Strategie und geht über die Grundlagen von Forschung und Entwicklung, der Technologie und der logistischen Kette oder der Personalentwicklung bis hin zu den Prinzipien von Lohn- und Gehalt. Jeder kann also leicht für sich selbst prüfen, wie weit seine eigene Kooperations-Bereitschaft und jene seines Unternehmens bereits gediehen sind.

Ein weiteres Kennzeichen für den Fortschritt auf den Weg zu Management 2.0 ist die Art der Identifikation des Gewinns eines Unternehmens sowie der Umgang mit ihm. Für die Ausrichtung auf nachhaltige Wirtschaftlichkeit durch Kooperation ist nicht mehr der Überschuss wesentlich, der an die Kapitaleigner ausgeschüttet werden kann – diese Größe ist ein Teil der Kosten, der Kapitalkosten. Als Gewinn des Unternehmens gilt jener Überschuss aus dem Verkauf von Produkten und Leistungen, der für die Innovation des Unternehmens nach Abzug aller Kosten für Leistungserstellung, Risikovorsorge und Kapital verbleibt. Durch einen ausgewogenen Innovationsbeitrag jedes Stakeholders erhält die Kooperation ihr legitimes Fundament. Dazu gehört aber auch die transparente Verwendung des Gewinns als Innovations-Beitrag unter dem Vorbehalt eines generellen Rentabilitätsanspruchs. Wobei die Wirtschaftlichkeitsprüfung sich wiederum auf den zukünftigen Innovations-Beitrag und den Nachweis der Nachhaltigkeit bezieht.

Ein drittes Kennzeichen für den Stand der Entwicklung von Management 2.0 ist der ausgewogene Umgang mit den verschiedenen Phasen strategischer Entwicklungen:

Phasen strategischer Entwicklung

Abbildung: Phasen strategischer Entwicklung

Oftmals konzentrieren sich Unternehmen zu stark auf die Realisierungs- und Stabilisierungs-Phase und vernachlässigen die Initial- und Nachhaltigkeits-Phase. Das wird daran ersichtlich, welche Indikatoren für maßgeblich erachtet und als Kenngröße in die Planung und Steuerung des Unternehmens einbezogen werden. Wenn die zentrale Aufmerksamkeit überwiegend auf Effektivität und Effizienz gelegt wird, ist der Weg zu Management 2.0 noch weit.

Management 2.0: Kooperation

Abbildung: Management 2.0: Kooperation

Schließlich kann als viertes Kennzeichen für den Realisierungs-Stand von Management 2.0 der Ersetzungsgrad punktgenauer und an Minima bzw. Maxima orientierter Planungs- und Steuerungs-Größen durch eine ausbalancierte Zusammenstellung von Instrumenten und deren Orientierung auf Erfolgs-Korridore (Rahmen-Planung, Relation zwischen Ausbau der Struktur und des Umsatzpotenzials etc.) herangezogen werden. Gerade für Controller eine wichtige Aufgabe!

Dies ist auch unsere Erfahrung, die wir in dem Buch Management 2.0 niedergeschrieben haben. Lesen Sie hier von Management 2.0 Einleitung und Kapitel 1:

Hier ein englischsprachiger Vortrag zum Thema „management 2.0: cooperation“, gehalten im Juni 2009 in Poznan: